Jüdische Gemeinde Landkreis Barnim e.V.
Antimuslimische und antisemitische Einstellungen im Einwanderungsland – (k)ein Einzelfall?
Studie | Oktober 2022
Antimuslimische und antisemitische Einstellungen in Deutschland sind seit Jahren Gegenstand der öffentlichen wie politischen Debatte. Sie stören das gesellschaftliche Zusammenleben. In jüngster Zeit wurden zudem mehr derartig politisch motivierte Straftaten registriert. Die Studie zeigt, dass antimuslimische und antisemitische Einstellungen keine Randphänomene sind. Sie sind sowohl bei Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund verbreitet. Dabei hängen sie – das zeigt die Auswertung von Daten des SVR-Integrationsbarometers 2020 – vor allem mit Merkmalen wie der Bildungsbiografie, interkulturellen Kontakten und der sozialen Schicht oder etwa Diskriminierungserfahrungen und Religionszugehörigkeit zusammen. Vor diesem Hintergrund hat der wissenschaftliche Stab des SVR Handlungsempfehlungen für die (Integrations-)Politik entwickelt und dabei insbesondere auch die Möglichkeiten auf kommunaler Ebene, in Bildungseinrichtungen und Religionsgemeinschaften in Betracht gezogen.
Das Wichtigste in Kürze
- Antisemitische und antimuslimische Einstellungen sind in Deutschland kein Randphänomen. Sie sind in der Bevölkerung ohne wie auch mit
Zuwanderungsgeschichte weit verbreitet.
- Menschen mit Migrationshintergrund vertreten häufiger als jene ohne Migrationshintergrund antisemitische und antimuslimische Einstellungen; beim Antisemitismus ist der Abstand jedoch größer.
- Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland die Schule besucht haben, sind seltener antisemitisch und antimuslimisch eingestellt als jene, die in einem anderen Land zur Schule gegangen sind.
- Befragte ohne Migrationshintergrund, die Freundschaften mit Zugewanderten pflegen, sind seltener antisemitisch und antimuslimisch
eingestellt.
Bei Befragten mit Migrationshintergrund, die Freundinnen und Freunde mit einem anderen Migrationshintergrund als dem eigenen haben, sind nur antimuslimische Einstellungen seltener.
- Befragte mit Migrationshintergrund, die sich aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlen, sind häufiger antisemitisch eingestellt. Jene, die
sich wegen ihrer Religion benachteiligt sehen, zeigen eher antimuslimische Einstellungen.
Zusammenfassung
Im Einwanderungsland Deutschland stören negative Einstellungen zu Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens das gesellschaftliche Zusammenleben. Solche Einstellungen vertreten aber nicht nur Menschen ohne Migrationshintergrund, sondern auch
in Deutschland lebende Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Antimuslimische und antisemitische Einstellungen sind für die Gesamtbevölkerung recht gut untersucht. Speziell für die Bevölkerung mit Migrationshintergrund gibt es dazu hingegen bislang kaum systematische Forschung. Hier setzt die vorliegende Studie an: Auf der Grundlage des SVR-Integrationsbarometers 2020 untersucht sie antimuslimische und antisemitische Einstellungen bei Menschen ohne und mit Migrationshintergrund.
Je nach Bevölkerungsgruppe und Form von Antisemitismus vertreten zwischen knapp 10 und gut 50 Prozent der Befragten antisemitische Einstellungen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund sind solche Einstellungen seltener als bei jenen mit Migrationshintergrund.
Auch antimuslimische und antiislamische Haltungen finden sich bei Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt etwas häufiger; der Unterschied zur Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte ist hier jedoch geringer.
Je nach abgefragtem Aspekt und Untersuchungsgruppe vertreten zwischen einem Drittel und fast der Hälfte der Befragten antiislamische Einstellungen; zugleich meinen in allen Herkunftsgruppen ähnlich viele Befragte, der Islam passe in die deutsche Gesellschaft. Diese Ambivalenz zeigt sich auch in Bezug auf die Integration von Musliminnen und Muslimen: Die Mehrheit der Befragten bewertet diese positiv; zugleich glauben rund vier von zehn, dass unter den Musliminnen und Muslimen in Deutschland viele religiöse Fanatikerinnen und Fanatiker sind. Trotzdem ist bei den meisten Befragten
die soziale Distanz zu Musliminnen und Muslimen relativ gering, und sie akzeptieren sie mehrheitlich als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft (zwischen 61% und 82%).
Die Daten zeigen darüber hinaus, dass antisemitische und antimuslimische Einstellungen mit der Bildungsbiografie und interkulturellen Kontakten zusammenhängen. So äußern sich Befragte mit Migrationshintergrund, die ihren Schulabschluss in Deutschland gemacht haben, seltener antisemitisch und antimuslimisch als jene, die in einem anderen Land zur Schule gegangen sind. Eine Ausnahme bildet die Gruppe der Türkeistämmigen: Hier spielt es für antisemitische Einstellungen keine Rolle, wo die Befragten die Schule abgeschlossen haben.
Für die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zeigt sich: Wer Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund hat, neigt weniger zu antisemitischen
oder antimuslimischen Haltungen. In der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zeigen jene, die Kontakt zu Zugewanderten anderer Herkunft haben, ebenfalls seltener antimuslimische Einstellungen. Für antisemitische Einstellungen ist ein solcher Zusammenhang dagegen nicht nachweisbar.
Bei Menschen mit Migrationshintergrund ergeben sich auch Zusammenhänge mit Diskriminierungserfahrungen. Dabei hängt wahrgenommene
Diskriminierung aufgrund der Herkunft stärker mit antisemitischen Einstellungen zusammen, Diskriminierung aufgrund der Religion hingegen stärker mit
antimuslimischen Haltungen. Von den Befragten, die sich wegen ihrer Herkunft diskriminiert fühlen, stimmen etwa vier von zehn den meisten antisemitischen Aussagen zu; bei denjenigen, die sich nicht in dieser Weise diskriminiert fühlen, sind es etwa
drei von zehn. Antimuslimischen und antiislamischen Aussagen stimmen die Befragten dagegen eher zu,
wenn sie sich wegen ihrer Religion diskriminiert fühlen. Dies gilt besonders für Befragte mit einem Migrationshintergrund aus einem Drittstaat (ohne (Spät-)-Aussiedler/innen).
In der Bevölkerung mit Migrationshintergrund neigen Musliminnen und Muslime häufiger zu antisemitischen Einstellungen als Christinnen und Christen oder als Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Entsprechende Haltungen zeigen etwa die Hälfte der Befragten muslimischen Glaubens, etwa ein Drittel der christlichen Befragten und rund ein Viertel der Befragten ohne Religionszugehörigkeit. Vertiefte Analysen weisen darauf hin, dass für antisemitische Einstellungen die politisch-gesellschaftlichen Narrative im jeweiligen Herkunftsland eine Rolle spielen könnten: Befragte, die aus einem überwiegend muslimisch geprägten Land stammen, tendieren unabhängig von ihrer eigenen Religionszugehörigkeit eher zu Antisemitismus als jene aus anderen Herkunftsländern. Antimuslimische Einstellungen finden sich in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zudem häufiger bei Christinnen und Christen als bei Personen ohne Religionszugehörigkeit. In der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ist es tendenziell umgekehrt.
Auch die soziale Schicht spielt eine Rolle. Befragte mit wie ohne Migrationshintergrund neigen umso
weniger zu antimuslimischen Einstellungen, je höher ihr Haushaltseinkommen ist.
Antimuslimischen und antisemitischen Einstellungen sollte in allen Bevölkerungsgruppen gezielt entgegengewirkt werden, z.B. durch Förderung interkultureller Kontakte und Antidiskriminierungsarbeit. Dabei sollten u. a. Religionsgemeinschaften noch stärker einbezogen werden; auch der interreligiöse Dialog und entsprechende Begegnungs- und Kooperationsformate können zu einem Abbau von Vorurteilen beitragen.